Sebastian Thiel
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Ich will doch nur durchkommen
 

 
Der Depression davongelaufen

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Lieber B.!
Wie erhofft sitze ich gerade in Kappeln in der Turnhalle und kann Dir von der ersten Etappe meines Deutschlandlaufes berichten.
Die vergangene Nacht im Hotel habe ich noch mal gut geschlafen. Um halb sechs standen Anja und ich auf und fuhren zum Start. Es gab ein einfaches Frühstück. Brot, Margarine, Käse, Marmelade und Kaffee. Anja wollte nichts essen und trank nur einen kleinen Schluck Kaffee. Es war ihr zu früh und es waren ihr zu viele Menschen um diese Uhrzeit, die zu viel erzählten. Etwa zwei Stunden später bei Kilometer 8 wusste ich, was sie gemeint hatte.
Dann verabschiedeten wir uns für die nächsten zwei Wochen. Ich dachte daran, dass wir noch nie so lange getrennt waren. Warum auch? Man ist zusammen und will ja mit dem anderen zusammen sein. Schließlich wurden Fotos geschossen, und Thomas, der Organisator, sprach noch ein paar Worte. Um 7:04 Uhr ging es los. 20 Läuferinnen und Läufer starteten zum Deutschlandlauf. Fünf weitere wollen nur auf den ersten Etappen dabei sein.
Es war weniger spektakulär als ich gedacht hatte. In den letzten zwei Tagen hatte ich öfter feuchte Augen, wenn ich an den Lauf und daran, dass es losging, dachte. Heute ging es einfach und endlich los. Auf den ersten zwei Kilometern durch Flensburg blieb Anja noch zweimal mit dem Auto auf ihrem Rückweg zum Hotel stehen. Dann gab es wirklich den letzten Kuss.
Vorneweg waren vier bis fünf Läufer. Ich befand mich dahinter in einer Gruppe von neun Leuten, was bei der Teilnehmerzahl also schon mehr als ein Drittel ausmachte. Allerdings wurde mir jetzt auch zu viel gequatscht beziehungsweise hätte ich gerne ein bisschen mehr Ruhe zum Start gehabt. Aber ich wusste, dass ich bald sehr viel Ruhe haben würde.
Bis Kilometer 8 war die Strecke auch nicht besonders schön. Das kurze Stück am Flensburger Hafen hatten wir schnell hinter uns gelassen. Dann waren wir raus aus der Stadt und liefen auf einem Radweg neben einer nicht so stark befahrenen Straße. Ich ließ die anderen ziehen und war somit allein, als ich bei Kilometer 12 in Glücksburg den ersten Verpflegungspunkt erreichte. Kurz nach mir kam Cornelia. Ihr Mann versorgte uns hier und wird sich jeden Tag um den ersten Verpflegungspunkt kümmern. Wir stellten fest, dass die beiden ebenfalls in Altglienicke und nicht allzu weit weg von mir wohnen.
Ich hatte mit Absicht das T-Shirt von meinem letzten Ostseeman-Triathlon hier in Glücksburg angezogen und erkannte dann beim Weiterlaufen auch einige Straßen wieder. Schließlich verließen wir die Stadt und liefen auf einer wunderschönen und schattigen Straße, links von uns immer die Ostsee gelegen.
Auf diesem Weg überholte mich ein Autofahrer und blieb kurz danach an seinem Haus stehen. Während er mit seiner Brötchentüte in der Hand aus dem Auto ausstieg, fragte er mich, was wir machen. Ich erzählte es kurz. Er wünschte viel Spaß und schüttelte den Kopf.
Bei Siegum, wo wir 2015 Urlaub gemacht haben, erreichte ich den zweiten Verpflegungspunkt. Für diesen sind Joachim und seine Frau Brigitte verantwortlich. Gestern Abend beim Abholen der Startnummer und einem gemeinsamen Nudelessen saßen wir mit ihnen zusammen am Tisch. Joachim, selbst viele Jahre Läufer, aber auch schon seit über einem Jahrzehnt bei Deutschland- und Europaläufen als Helfer dabei, hatte viele Geschichten zu erzählen.
Mir ging es gut, aber ich wünschte mir etwas frischere Beine. War ich mit Anja gestern zu viel durch Flensburg spaziert, fragte ich mich. Während des Laufens machte ich ab und zu ein Foto. Hier mit unserem Ferienhaus von 2015 im Hintergrund, ansonsten mit der Ostsee im Hintergrund. Aber der Wind wurde stärker und blies uns entgegen. Es wurde langsam anstrengend. Als ich den dritten Verpflegungspunkt erreichte, kam kurz nach mir wieder Cornelia an und dann auch Andreas R. aus Österreich.
Ich war in meinem Trott, der gleichbedeutend sein soll mit einem Marathon in sechs Stunden. Da heute 63 Kilometer anstanden, war also mein Plan, nach neun Stunden im Ziel zu sein. Aber am ersten Tag geht es natürlich noch etwas besser. Ich erreichte den vierten Verpflegungspunkt nach 42 Kilometern und danach die Marathonmarke nach 5:30 Stunden.
Danach zog Andreas R. langsam weg. Er wurde ein immer kleinerer Punkt auf dem Radweg, den wir neben der Bundesstraße 199 liefen. Ich konnte zwar ohnehin nicht deutlich schneller laufen, wusste aber auch, dass es gut war, mir Zeit zu nehmen. So machte ich nach 46 Kilometern die erste bewusste Gehpause und nahm ein Gel zu mir. Zum Glück bogen wir bei Kilometer 50 wieder von der Bundesstraße ab und meine Befürchtung, dass es an dieser Straße direkt bis nach Kappeln geht, bewahrheitete sich nicht.
Nach 52 Kilometern erreichte ich den letzten Verpflegungspunkt und stellte gerade eben nach dem Duschen fest, dass ich eine knappe halbe Stunde an diesen Punkten verbracht habe. Aber zum einen vergehen fünf Minuten schnell und zum anderen stehen unsere Helfer stundenlang irgendwo in der Walachei und haben es verdient, dass man ein paar Worte mit ihnen wechselt.
Bis Kilometer 60 machte ich drei weitere kleine Gehpausen, wenn ich etwas aß oder trank. Dann kam ich nach Kappeln und zwar tatsächlich über die Fußgängerzone, wo ich mit Anja während unseres Urlaubs Anfang Juli saß und wir Kaffee und Kuchen genossen hatten. Ich machte ein Foto. Anschließend ging es rechts die Straße hoch und weiter durch einen Park in Richtung Schule. Andreas F., heute Dritter, saß dort auf einer Bank und sagte, dass ich nur noch einmal rechts hoch müsste. So war es auch. Ich lief noch um ein paar Ecken des Schulgebäudes und war schließlich nach 8:27 Stunden da. Morgen sind es acht Kilometer weniger, aber ich rechne mit der gleichen Zeit.
Dein S.

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